Fachgespräch zur Gasinfrastruktur: Die Wette der Konzerne auf‘s Verpassen der Klimaziele

Die Frage „Wieviel Erdgas braucht Europa?“ hat sich die Linksfraktion vor dem Hintergrund des Ausbaus der Gasinfrastruktur (Nordstream 2 und Flüssiggas-Terminals) an der deutschen Nordseeküste gestellt und dazu Expertinnen und Experten aus verschiedenen Fachgebieten eingeladen.

Im Fachgespräch sollte die in der Linksfraktion umstrittene Frage diskutiert werden, wie man zusätzliche Gasinfrastruktur an der deutschen Küste aus geo- und sicherheitspolitischen Interessen im Gemengelage zwischen Russland und den USA bewerte und welche Rolle dabei die klimapolitischen Erfordernisse und die Verpflichtung aus dem Pariser Klimavertrag besitzen.

 

Die globale Entwicklung ermöglicht seit einiger Zeit, dass nicht mehr nur traditionelle Gaspipelines wie aus Russland Erdgas nach Europa liefern. Der weltweite Handel von Flüssigerdgas u.a. aus Katar und perspektivisch aus den USA, erweckt Begehrlichkeiten der USA, verstärkt gefracktes Gas auf den europäischen Markt zu liefern. Vier LNG-Terminals sind im Gespräch: Brunsbüttel, Wilhelmshaven, Stade und Rostock. Im Handelsstreit mit den USA, macht Bundeswirtschaftsminister Altmaier die LNG-Terminals zum Faustpfand gegen US-Strafzölle auf europäische Autos. Währenddessen wurde die russische Pipeline Nordstream 2 bereits zu zwei Dritteln gebaut: sie soll bereits Ende 2019 fertig sein. Klimapolitische Fragen, die ebenfalls und vielleicht deutlich existenzieller unser aller Zukunft betreffen, werden allzu oft gar nicht gestellt oder nicht ausreichend berücksichtigt.

 

Dr. Kirsten Westphal, von der Stiftung Wissenschaft und Politik wurde eingeladen, um geo- und versorgungspolitische Aspekte der Debatte aufzuzeigen. Nach Vorstellung der wichtigsten Gas-Pipeline- und Terminal-Projekte und dahinter stehender Interessen bezog sich Frau Westphal auf die Berechnungen von Prognos und der IEA, die von einem steigenden Gasimportbedarf in Europa ausgehen, da innereuropäische Quellen zurückgehen. Europa sei eine Senke für LNG und in bestimmten Situationen im Winter bräuchte man die Gaskorridore. Sie beschrieb die Entscheidungen, die hier getroffen werden müssen, als komplizierten Prozess einer Prinzipien- und Güterabwägung, in dem viele Fragen zu stellen seien, zu Abhängigkeiten und geo-, versorgungs-, sicherheits- und klimapolitische Interessen teilweise gegeneinander abzuwägen seien.

Auf die Einbeziehung der Klimaziele angesprochen, die eigentlich insgesamt einen Rückgang fossiler Energie in Deutschland und Europa erwarten ließen, beschrieb Kirsten Westphal die Situation auf den Märkten für Erdgas als eine Wette, die Gaskonzerne Ost wie West abgeschlossen haben, eine Wette auf das Verfehlen der Klimaziele.

 

Die Frage, die Prof. Christian von Hirschhausen gestellt wurde, ob wir zusätzliche Gasinfrastruktur vor dem Hintergrund der Klimaziele eigentlich brauchen, beantwortete er gleich zu Anfang mit einem eindeutigen Nein. Das habe er bereits 2010 in einem Gutachten geschrieben und es gelte auch heute noch. Fossiles Erdgas könne keine Brückentechnologie sein. Wer dies fordere, möchte, dass Erdgas noch die kommenden Jahrzehnte eine relevante Rolle spielt. Nordstream 2 sei erstens energiewirtschaftlich unnötig, zweitens betriebswirtschaftlich unrentabel und drittens umweltpolitisch schädlich. Ein privater Investor käme nicht auf die Idee, eine solche Pipeline bauen zu wollen. Auch im Stromsektor brauchen man selbst vor dem Hintergrund von Atomausstieg und Kohleausstieg nicht. Das deutsche Stromsystem könne problemlos bis 2030 zu 100 Prozent erneuerbar sein, zusammen mit Speichertechnik. Auf die Nachfrage des Abgeordneten Klaus Ernst, weshalb eine Pipeline gebaut werden würde, wenn sie unrentabel sei, antwortete von Hirschhausen mit einer Zahl: Circa sechs Milliarden Euro würde Nordstream 2 Miese machen, so habe er errechnet. Die Geschichte der Erdgaspipelines zeige, dass immer politische Interessen dahinter stünden. Heute seien Speicher die Konkurrenz zu Erdgas, weil sie das Erdgas überflüssig machen.

 

Sebastian Scholz, Klima- und Energieexperte beim NABU Deutschland, brachte verstärkt klimapolitische Argumente in die Debatte. Er räumte mit der Legende auf, LNG würde benötigt, um den Schiffsverkehr zu dekarbonisieren. Auch das Argument, man brauche die Infrastruktur auch für grünes Gas, wies er zurück und bewertete die Debatte um Power-to-Gas als „Nebelkerze“. Man könne gar nicht so viel Strom erzeugen wie man bräuchte, um grünes Gas in großem Stil herzustellen. Da käme man mit dem Zubau an erneuerbaren Energien an die Grenzen ökologischer Verträglichkeit. Daher sei Effizienz im Umgang auch mit erneuerbaren Energien so wichtig. In Hinblick auf Methan warf er das Problem auf, dass über Methanschlupf, also das Austreten von Gas während des Produktions- oder Transportprozesses, noch zu wenig bekannt sein. Ein internationales Monitoring sei hier eigentlich notwendig, um mehr Klarheit über Leckagen und die eigentliche Klimabilanz von Erdgas zu erhalten.

 

In der Diskussion betonte Lorenz Gösta Beutin, Energie- und Klimapolitischer Sprecher der Linksfraktion, dass eine politische Richtungsentscheidung für die Einhaltung der Pariser Klimaziele notwendig sei. Es reiche nicht, den Vertrag unterschrieben zu haben, man müsse nun auch stringent danach handeln. Er verwies auf die Bewegung FridaysForFuture, von denen auch drei Mitglieder anwesend waren, die zusammen mit anderen Teilen der Klimabewegung nicht nachlassen dürften, der Regierung und den Parlamenten Druck zu machen.

 

Hubertus Zdebel, der in der Fraktion das Fracking-Thema bearbeitet, fasste die Debatte nochmal vor dem Hintergrund der Unternehmen, die hinter den Gas-Projekten stehen, zusammen. Mächtige transnationale Konzerne drängten auf die europäischen Absatzmärkte. Dass Klimapolitik da unter die Räder gerate, müsse sich ändern. Viele Fragen seien angesprochen, aber neue Fragen aufgeworfen worden, die zu klären sich die Linksfraktion weiter zur Aufgabe machen wird.