
Lorenz Knorr - 18. Juli 1921-26. November 2018
Rede von Lorenz Gösta Beutin anlässlich der Trauerfeier am 17.12.2018 auf dem Frankfurter Hauptfriedhof
Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen,
Willi van Ooyen hat mich gebeten, einige persönliche Worte an Euch zu richten. Auch wenn Lorenz immer auch politischer Mensch war, ich will es versuchen:
Auf der Hinfahrt hierher habe ich mir noch einmal einige Videos mit Lorenz Knorr angeschaut, Aufzeichnungen von Vorträgen und Interviews. Genauso, wie ich ihn da sehe, so habe ich ihn Erinnerung: wach, klar, entschieden, analytisch.
In einem Video des „European Restistance Archive” von 2011 berichtet er über den antifaschistischen Widerstand, über die grundsätzliche Entscheidung, die er damals getroffen hatte, seine Motivation:
„Da war also klar, Du wirst überlegt Sand ins Getriebe streuen, so gut Du kannst und solange Du atmen kannst.“
Der Satz steht nicht nur für seinen Widerstand bis 1945, er kann als Maxime seines gesamten Lebens gelten, als sein Vermächtnis.
Ich kenne Lorenz, solange ich denken kann: Als Kleinkind, wie ich mich unter dem Wohnzimmertisch bei uns zu Hause verkrieche, nicht ins Bett will, noch das Spannende hören will, was Lorenz und Elfriede mit meinen Eltern, Heidi und Wolfgang Beutin, zu besprechen haben. Erinnere mich an das Kaffeetrinken auf der Terrasse, die Gespräche über die aktuelle Weltlage, die Wichtigkeit für den Frieden einzutreten, oder unsere Besuche in Frankfurt.
Die zahlreichen Briefe und Büchersendungen von Lorenz, in denen er immer ernsthaft mit mir, dem Heranwachsenden, im Gespräch war, auf meine Frage einging, mir berichtete aus seinem Leben, sie habe ich alle in einem dicken Ordner aufbewahrt. Und meine kleine Bibliothek zu Hause in Kiel ist gut bestückt mit Büchern, die er mir geschenkt hat, von ihm oder solche, die er für wichtig hielt.
Seinen Namen zu tragen, am gleichen Tag wie Lorenz Geburtstag zu haben, macht mich stolz. 2006 konnte ich zu seinem 85. Geburtstag ein Buch mit seinen Texten herausgeben, „Aufklärung, Frieden, Antifaschismus“ – den drei Themen, denen Lorenz sein Leben gewidmet hat. Aus diesem Anlass, auch jetzt beim nochmaligen Durchblättern, ist mir noch wieder klar geworden, wie universell Lorenz Verständnis von Aufklärung, vom Kampf für eine Gesellschaft der Freien und Gleichen, war.
Klar, zu seinem Kernbereich gehörte der Antifaschismus, das Berichten über den antifaschistischen Widerstand, die Zeitzeugenerfahrung, der Kampf gegen das faschistische Erbe der Bundeswehr im „Generalsprozess“, gegen die Wehrmachtsgeneräle, mit internationaler Unterstützung aus vielen Ländern, als er vom Angeklagten zum Ankläger wurde. Ebenso zentral gehörte dazu, aus dieser Erfahrung erwachsend, das friedenspolitische Engagement, in der DFU, in der Friedensbewegung.
Doch daneben widmete er sich den unterschiedlichsten zeitpolitischen, historischen, ökonomischen und philosophischen Fragen:
Lorenz schrieb über die Folgen der Globalisierung, die Auseinandersetzung um eine europäische Verfassung, über die Gefahren und Methoden der Kulturindustrie und Konzepte linker Gegenmacht, Instrumente psychologischer Kriegsführung und Massenbeeinflussung oder aber das humanistische Menschenbild von Karl Marx und die daraus erwachsende Ablehnung eines Avantgardeanspruchs:
„Wenn Kräfte mit nicht gleicher Ideologie für eine ausbeutungs- und kriegsfreie Gesellschaft der Freien und Gleichen antreten, erlischt der Führungsanspruch einer Gruppe… Es gibt keine ‚Auserwählten‘, sondern nur noch Bewährte und Gewählte.“ Gerade angesichts heutiger Anforderungen an humanistische Kräfte eine wichtige Einsicht.
Wenn ich hier heute stehe, dann stehe ich hier auch deshalb, weil ich einen Teil meines Weges mit Lorenz gehen konnte, so wie viele Anwesende hier. Die Basis meines politischen Wirkens, meine festen Grundpfeiler, auf denen ich stehe, die mich bis hierhin begleitet haben und weiter tragen werden, sind der Antifaschismus und die Friedenspolitik, ist die Grundüberzeugung, dass es notwendig ist, dass die Welt eine andere werde und dass wir alle daran mitwirken können.
„Nach Rückschlägen vorwärts“ – so lautete die unzerstörbare Überzeugung von Lorenz, die ihm seinen Optimismus in allen Lebensabschnitten gab. Er formulierte das so:
„Die wissenschaftlich-technischen und die finanziellen Kapazitäten für eine zivile Politik sind in ausreichendem Maße vorhanden. Es liegt an den Menschen, humane Verhältnisse zu schaffen oder im Chaos unterzugehen. Der Überlebenswille für eine vernünftig geordnete Welt hat alle Chancen, sich durchzusetzen. Das aber setzt einen demokratischen Aufbruch voraus.“
Auch wenn Lorenz heute nicht mehr unter uns ist, er ist für uns immer gegenwärtig, mit seinem Denken und Handeln. Die, die wir heute hier versammelt sind, tragen seinen Optimismus, seine Humanität, den unverbrüchlichen Glauben an die Aufklärung weiter.
Wir halten die Flamme am Brennen.