
Lorenz Knorr war die meiste Zeit meines Lebens so etwas wie ein Mentor für mich. Er gehörte der Generation an, die noch Zeugnis ablegen konnte vom deutschen Menschheitsverbrechen. Am Montag ist
er gestorben. Ich erinnere mich an Tage auf der Terrasse, als Kind, er und meine Eltern im Gespräch, ich dabei, oder an die zahlreichen Veranstaltungen. Ein paar konnte ich später selbst
organisieren. Erinnere mich an all die Briefe, die er mir gesandt hat, die Broschüren und Bücher, die bei mir im Regal stehen.
Wie ich mich auch mit politischen Fragen an ihn gewandt habe, auch während des Studiums. Und ich bin stolz, dass ich mit ihm den Vornamen und den Geburtstag teilen kann, dass ich ein Buch herausgeben konnte, mit unveröffentlichten Schriften, zu dem ich Einleitung und Vorwort geschrieben habe.
Lorenz war schon früh antifaschistisch tätig, in der Tschechoslowakei, wurde in der Wehrmacht wegen Wehrkraftzersetzung angeklagt, wegen Sabotageakten und Verteilens von Propagandamaterial und wurde schwer verwundet. Nach dem Krieg war er am Wiederaufbau der SPD, u.a. im Parteivorstand, und der Sozialistische Jugend Deutschlands - Die Falken beteiligt, schrieb für die Falken ein Buch über die Aufgaben von Gruppenleitern im Zeltlager, das lange Zeit Gültigkeit behielt.
1960, nach harten Auseinandersetzungen, erfolgte der Bruch mit der SPD. Lorenz hatte es sich nicht leicht gemacht, aber er konnte das Einschwenken auf den Kurs der Wiederbewaffnung nicht mitgehen. 1961 bezeichnete er die Generäle Foettsch, Speidel und Heusinger als Massenmörder. Er machte die Kontinuität von der Wehrmacht zur Bundeswehr deutlich. Er wurde wegen Beleidigung und "Staatsgefährdung" angeklagt. Eine Beweisführung wurde abgelehnt, weil es sich um ein "Werturteil" handele, weshalb ein "Wahrheitsbeweis" unzulässig sei. Verteidigt wurde Lorenz von Heinrich Hannover. Unterstützung bekam er u.a. von Linus Pauling, Bertrand Russell, Martin Niemoeller. Für 300 DM sollte das Verfahren enden, doch Lorenz ging in die Revision, weil er im Recht war. Selbstverständlich legte er in den Verhandlungen die gesamte Geschichte dieser Massenmörder dar, quasi vorweggenommen in diesem "Generalsprozess" die Debatte um die Verbrechen der Wehrmacht.
Zeitlebens war er friedenspolitisch aktiv. Er gründete die "Deutsche Friedensunion", war in ihrem Direktorium, war auch Bundessprecher der VVN - BdA. Für die Friedensbewegung war er ein wichtiger Vordenker und eine starke Stimme.
Für alle Antifaschist*innen und Friedensbewegten ist sein Tod ein großer Verlust. Für mich bleibt für immer das Vermächtnis, das für mich Grundsatz ist, seit ich politisch denken kann: Ohne zu wanken einzustehen für Aufklärung und Frieden, für den Antifaschismus als Zukunftsaufgabe und für die Gesellschaft der Freien und Gleichen.
Das Foto zeigt Lorenz Knorr bei einer Veranstaltung der DFU im Jahr 1978.