
Wieder mal im Zug. Zeit, die Gedanken schweifen zu lassen. Ein Jahr im Bundestag, und jetzt? Das Hohe Haus - so heißt es manchmal über den Bundestag. Aber ganz ehrlich: So viel rechten Mist, soviel Hass und Menschenfeindlichkeit habe ich gebündelt noch nie in meinem ganzen Leben gehört. Nazidemo in Dresden war einmal im Jahr. Jetzt hören wir jede Sitzungswoche, bei fast jedem Tagesordnungspunkt die neonazistischen Parolen. Was früher im Stillen gedacht wurde, das rassistische Meinen, das die ganzen Jahre vorhanden war, kommt jetzt an die Oberfläche.
Manchmal ist es im Bundestag so absurd, dass ich einfach nicht anders kann, als die Rechten auszulachen - wenn sich ein gewählter Abgeordneter hinstellt und verkündet, Merkel plane die Auslöschung des deutschen Volkes oder wenn ein anderer vor den Gefahren mit LEDs beleuchteter Kondome warnt. Meistens herrscht aber der Schauder vor, dass solche Positionen überhaupt wählbar geworden sind. Nicht unschuldig daran eine Medienlandschaft, deren Vertreter*innen sich allzuoft zum Fußabtreter machen, aus Angst, zum tausendsten Mal als „Lügenpresse“ beschimpft zu werden. Nein, wir müssen gegenhalten, konsequent und klar sein in unserer Argumentation, die Alternative einer anderen, einer solidarischen Gesellschaft hochhalten, gerade jetzt.
Eine solidarische Gesellschaft, wie ist das zu schaffen, das Einfache, das schwer zu machen ist? Ich bin überzeugt davon, dass ich mir in der Linksfraktion da ein Themenfeld gesucht habe, mit der Klima- und Energiepolitik, das in den nächsten Jahren mehr und mehr Bedeutung erringen wird. Das sehen wir ja jetzt schon, nicht zuletzt bei den Wahlen in Bayern war der Kampf gegen den Klimawandel eines von drei entscheidenden Themen. Wer davon schwafelt, unser Problem sei, dass wir die soziale Frage nicht ausreichend beackern würden, hat nichts verstanden, hat sich nichtmal die aktuellen Wahlkämpfe in Bayern oder Hessen angeschaut. Nein, die Frage wird sein, ob es uns gelingt, auf die Themen der Zukunft linke Antworten zu geben oder ob wir in sektenhafte Parolendrescherei verfallen. Beim Klimawandel heißt das, ihn als soziale Frage der Zukunft zu begreifen, dazu habe ich ja schon Einiges geschrieben. Klimaschutz ist Handarbeit. Das habe ich gerade irgendwo gelesen. Da ist etwas Wahres dran: Es wird uns nur gelingen als Bewegung der Vielen, als Kraft, die Druck macht auf die Herrschenden, die den Mut hat, sich mit den Konzernen, mit einer Politik anzulegen, die den Profit zieht aus der Vernichtung der Lebensgrundlagen der gesamten Menschheit. Da reicht dann kein individueller Konsumverzicht, das geht nicht, indem man Bayer oder RWE vom Guten zu überzeugen versucht. Das bedeutet, widerständig zu sein, im Alltag und in der Praxis.
Deshalb sitze ich gerade im IC gen Köln. An diesem Wochenende werden Tausende demonstrieren für einen raschen Kohleausstieg, für Klimagerechtigkeit. Es sind die Kräfte der Zukunft, die da zusammenkommen. Die nicht hinnehmen, dass kurzsichtige Profitlogik und von Konzernspenden wohl bedachte Politiker*innen der Menschheit, dem globalen Süden vorschreiben wollen, dass sie für die Interessen der deutschen Wirtschaft doch bitte noch etwas länger hinnehmen sollen, dass ihre Inseln absaufen, dass deutsche Wirtschaftshilfen die Lebensgrundlagen andernorts vernichten, dass Menschen ihre Heimat verlassen müssen. Die Besetzung im Hambacher Forst hat einen grandiosen Erfolg erkämpft, hat Zehntausende mobilisiert und die öffentliche Meinung gedreht (auch fataler Fehler von RWE und NRW-Landesregierung). Jetzt geht es weiter, der Weg ist noch lang.
Wenn ich jetzt wieder zu Ende Gelände fahre, zum Hambacher Forst, denke ich nach über das, was hinter mir liegt. Vor einem Jahr, an einem Dienstag, war die konstituierende Sitzung des Bundestags. Ein bisschen Ehrfurcht war da, vor dem, was da kommen würde. Das erste Mal den Sitzungssaal, den Reichstag betreten. Und der feste Vorsatz, in diesem Raumschiff nicht die Bodenhaftung zu verlieren. Ich glaube, das ist mir gelungen. Dazu beigetragen haben Freund*innen, hat ein fantastisches Team, haben die Genoss*innen vor Ort, in Schleswig-Holstein. Vor allem aber meine grundlegende Überzeugung: Gesellschaftlicher Fortschritt kommt nicht durch die Parlamente, wird nicht von oben exekutiert, er muss erkämpft werden, durch soziale Bewegungen, gegen die Herrschenden und ihre Gedanken. So sehe ich meine Aufgabe in zwei Richtungen: Den Bundestag und meine Position zu nutzen, um linke Bewegungen zu unterstützen, um überall linke Positionen zu stärken. Und die Anliegen derjenigen, die in unserem Staat zu selten gehört werden, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, auch derjenigen, die unter dieser Wirtschaftsordnung leiden, überall auf der Welt, hörbar zu machen. Das alles gibt mir die Kraft, den Verlockungen des Parlamentarismus zu widerstehen. Klingt jetzt pathetisch? Ist aber so.
Achja, und dann gibt es noch die, die mir sagen, ich solle doch bitte mal den Mund halten. Es gehe doch um die Partei. Man dürfe doch die Hochwohlgeborenen in unserer Partei oder Fraktion nicht allzu scharf kritisieren. Nein, ich werde klar und deutlich, inhaltlich in der Sache meine Position äußern. Ich werde die Grundüberzeugungen nicht aufgeben, die ich mein ganzes Leben verfolge. Da müsst Ihr eben damit leben, dass ich Ecken und Kanten habe, an denen Ihr Euch reiben könnt, wo dann auch mal eine scharfe Kontroverse sein muss. Weichspülerei oder Einseifen ist mit mir nicht zu machen. Ich hoffe, der Großteil, der das hier liest, kann damit leben. Anders geht es eben nicht.