
Ebenso wie im Bundeskabinett finden sich in der Kohleausstiegskommission kaum Ostdeutsche, bemängelt Lorenz Gösta Beutin
Diesen Mittwoch soll es so weit sein. Nach ewigem Gerangel über Zuständigkeiten von Ministerien (Wirtschaftsministerium versus Umweltministerium), über Personen und Arbeitsaufträge und peinlicher
Last-Minute-Absage des Tagesordnungspunkt aus »organisatorischen und personellen Gründen«, will das Merkel-Kabinett jetzt endlich die Kommission »Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung«
einsetzen.
Das 31-köpfige Gremium soll noch vor der parlamentarischen Sommerpause an die Arbeit gehen. Um dann, bis Ende des Jahres, Regierung und Parlament einen Kohle-Konsens-Vorschlag auf den Tisch zu legen. Die Empfehlung soll ein Kohleausstiegsdatum festzurren, die sozial-ökonomische Absicherung des Endes von Braunkohletagebau und Kohlekraftwerken vorausdenken, und Sofortmaßnahmen zur Schließung der deutschen Klimaschutzlücke in die Tat umsetzen.
Kritik an der Kohleausstiegs-Kommission, die ganz ohne das K-Wort im Titel auskommt, gibt es genug: Verschiebung politischer Entscheidungen durch die Groko in Arbeitskreise, statt ein Kohleausstiegsgesetz und ein Klimaschutzgesetz mit klaren Ansagen für alle Wirtschaftssektoren in Sack und Tüten zu bringen. Zu viele und anspruchsvolle Arbeitsaufträge für zu wenig Zeit bei zu vielen Akteuren und Interessen, so dass am Ende nur eine Copy-and-Paste-Version vom längst beschlossenen Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung (auch nur eine unverbindliche Politikempfehlung) raus kommt. Zu wenige Vertreter der Umweltschutz- und Klimaorganisationen und Erneuerbare-Energien-Branche gegenüber einer Übermacht „fossiler Interessen“ und ihrer Wortführer, kohleschwarzes Ende vorprogrammiert. Auch dass die Opposition im Bundestag nicht eingebunden ist – ein undemokratisches Unding.
Bisher überhaupt nicht im Fokus der Aufmerksamkeit ist die mangelhafte Vertretung von Ostdeutschen. Ein Blick auf die vergangene Woche durchgesickerte Personalliste zeigt die Misere schräger Repräsentation. Die Leitung der Kommission ist noch fair. Mit Matthias Platzeck und Stanislaw Tillich sind zwei Alt-Ostdeutsche für die Führung des Mammut-Arbeitskreises berufen. Beide kohlefreundlich, aber immerhin. Weiter unten im Personaltableau sieht es für den Osten mau aus. Bei 24 bekannten Gremienmitgliedern aus den gesellschaftlichen Teilbereichen Wissenschaft (4), Industrie (4), Gewerkschaften (3) und Umweltverbänden (2) gibt es keine Frau und keinen Mann mit DDR-Herkunft. Die Energiewirtschaft schickt mit der Unionspolitikerin Katherina Reiche (Brandenburgerin) und der Grünen Gunda Röstl (Sachsen) immerhin zwei Ostdeutsche ins Kohleausstiegsrennen. Bei Vertretern aus den Regionen liegt es an der Natur der Sache, dass mit Christine Hentier (Bürgermeisterin Spremberg) und Hannelore Wolke (Wählergruppe „Grüne Zukunft Welzow“) auch zwei im realexistierenden Sozialismus Geborene am Strukturwandel mitstricken dürfen? Mitreden dürfen auch noch drei Bundestagsabgeordnete, ohne Stimmrecht (Namen zu Redaktionsschluss nicht bekannt). Die Opposition ist nicht dabei.
Gibt es denn keine ostdeutschen Wissenschaftler, die zu Strukturwandel forschen? Wo sind die Industrievertreter mit Wende-Erfahrung, Stichwort Aufbau Ost? Sind die Gewerkschaften denn im einstigen „Arbeiter- und Bauernstaat“ nicht vor Ort, sei es bei Verdi, IGBCE oder DGB? Sind von der Ostsee bis zum Elbsandsteingebirge keine Umweltschützer zu Greenpeace oder BUND gegangen, die einen Ost-Perspektive auf die gesellschaftlichen Verhältnisse beitragen können
Die Kohlekommission ist ein 1:1-Spiegel der Groko. Anfang des Jahres, während der Regierungsbildung, hatte der Osten schon Alarm geschlagen. Dass die Merkel-Regierung bei 16 Kabinettsmitgliedern nur mit einer Ost-Ministerin auskommt, daran konnte auch der Unmut von Ossis aller Parteien nichts ruckeln. Eine Reihe unter Minister sieht es nicht besser aus: von 35 Staatssekretären sind vier aus den neuen Bundesländern. Jetzt könnte man sagen, dass bei 66 Millionen Menschen im Westen (ohne Westberlin) und 12,5 Millionen im Osten (ohne Ost-Berlin) die Aufteilung gerecht sei.
Doch ein Ende der Kohle betrifft die Beschäftigten und ihre Familien in Lausitz, Sachsen und Nordrhein-Westfalen zahlenmäßig mehr oder weniger gleich. Und es geht nicht nur um einen kommagenauen Ost-West-Nord-Süd-Proporz. Bis heute brennt im Osten das ungute und oft zutreffende Gefühl, vom Westen übernommen worden zu sein. Produziert die Energiewende eine Neuauflage vom „Aufbau Ost“ und den „blühenden Landschaften“ werden vor allem die rechten Menschenfänger leichtes Spiel haben. Und wenn wir schon bei Quoten und repräsentativer Demokratie sind: Ein Mensch mit Eltern aus der Türkei, Italien oder Polen ist in Regierung und Kohlekommission nicht einer oder eine zu finden.