Porträt vom Tagesspiegel BACKGROUND

Von: https://background.tagesspiegel.de vom 13.2.18

 

„Bei der Energiewende müssen die sozialen Fragen mehr in den Vordergrund rücken“, sagt Lorenz Gösta Beutin. An dieser Botschaft entlang will er seine Themen als neuer klimapolitischer Sprecher der Linken-Bundestagsfraktion setzen. Dass energetische Sanierung nicht mit Mietsteigerung einhergehen dürfe, sei da nur ein Beispiel. 

 

Beutin wuchs auf in Schleswig-Holstein und lebt heute in Kiel. Er studierte Geschichte, Politik und Germanistik in seiner Geburtsstadt Hamburg und spezialisierte sich auf Nationalsozialismus und Antisemitismus.  In seiner Magisterarbeit untersuchte er, wie sich die Ausdrucksweise seines Großonkels, ebenfalls ein Historiker, während des Zweiten Weltkrieges und danach veränderte.

In seiner Magisterarbeit untersuchte er, wie sich die Ausdrucksweise seines Großonkels, ebenfalls ein Historiker, während des Zweiten Weltkrieges und danach veränderte. Ist die Energiepolitik einem Historiker nicht zu technisch? Beutin antwortet mit einem entschiedenen Nein und fügt hinzu: „Es wird dem Thema außerdem guttun, wenn man den Menschen den Zusammenhang von Energie, Umwelt und Sozialem besser erklärt." Energiepolitik solle „Bewegungspolitik“ werden, sagt Beutin. Vorbild sei für ihn die Bewegung „Ende Gelände“, die sich für einen frühen Braunkohleausstieg einsetzt und insbesondere bei jungen Grünen und Linken Anhänger findet. Beutin begleitet die Aktionen als Parlamentarischer Beobachter. 

 

Beutin ist Sohn der Linken-Politikerin und Gewerkschafterin Heidi Beutin. Als Kind nahmen ihn die Eltern im Bollerwagen mit auf die Demos gegen die Atomkraft. Die Reaktorkatastrophe in Tschnernobyl 1986 sei sein „erstes 9/11“ gewesen, so sagt er es. Beutin war damals acht Jahre alt. Von da an engagierte er sich in der BUND-Jugendgruppe „Milane“. Ab 1996 baute er mit Mitstreitern eine Ortsgruppe der Grün-Alternativen Jugend in seiner Heimatgemeinde auf. Politisch aktiv war er auch an der Universität im Allgemeinen Studierendenausschuss. So organisierte er das Streiksemester 2003/2004 gegen die Umstellung auf das Bachelor- und Mastersystem.

 

Beutin hätte durchaus bei den Grünen landen können, wenn es nicht eine rot-grüne Regierung gewesen wäre, die mit der pazifistischen Tradition der „Bonner Republik" brach: 1999 beteiligten sich deutsche Soldaten am Nato-Einsatz im Kosovo. „Wegen der Befürwortung des Kosovo-Kriegs habe ich mich nicht mehr zugehörig gefühlt zu den Grünen.“ Verliebt hat er sich in die Partei auch später nicht mehr. In seinen Augen sind die Grünen mittlerweile zu weit weg gerückt von „den sozialen Themen“. „Sie sind eher eine grüne FDP geworden“, findet der 39-Jährige.

 

Von 2000 bis 2005 war Beutin Mitglied der PDS. 2005 trat er der Wahlalternative Arbeit & Soziale Gerechtigkeit (WASG) bei. Ein Jahr später verschmolz die WASG mit der PDS zur Linkspartei. Seit November 2015 ist Beutin Landessprecher der Linken in Schleswig-Holstein. 

 

Dass er Eva Bulling-Schröter auf der Position des klimapolitischen Sprechers der Linken-Bundestagsfraktion nachfolgt, habe bereits vor der Bundestagswahl festgestanden, erklärt Beutin. Zwar müsse er sich jetzt in das ein oder andere Energiethema vertiefend einlesen. Doch Beutins Forderungen decken sich sehr mit denen Bulling-Schröters: Der Kohleausstieg muss bis 2035 beendet sein. Wichtig sei jetzt vor allem, dass so schnell wie möglich die schmutzigsten und ältesten Kohlekraftwerke abgeschaltet werden, so Beutin. Arbeitsplatzverluste will er wie seine Vorgängerin mit einem Strukturfonds von Bund und Ländern auffangen. Nora Marie Zaremba

 

 

Wer ist Ihr Stromanbieter, warum gerade dieser? 

Der Stromanbieter meiner Wahl sind die Stadtwerke Krefeld, ein kommunaler Stromanbieter, der sich zu 100 Prozent im Besitz der Stadt Krefeld befindet, also in öffentlicher Hand. Natürlich habe ich einen Ökostromtarif gewählt. Für mich ist die Energiewende nicht nur eine Frage der Ökologie. Von gesellschaftlicher Wichtigkeit beim Umbau von umweltschädlich-fossil und Atom auf klimafreundliche Erneuerbare ist auch die soziale Frage: Wer kontrolliert die Produktion und Verteilung von Energie, wie können wir Energiearmut und die jährlich Hunderttausenden von Stromsperren verhindern? Kurz: wem gehört die Energiewende?

 

Was muss passieren, damit Sie ein E-Auto kaufen?

Sichergestellt muss sein, dass ein E-Auto eine sinnvolle Energiebilanz aufweist, wie Strom aus 100 Prozent Erneuerbaren. Auch darf das E-Auto nicht zum Zweitauto neben einem konventionellen Auto werden, wir müssen endlich die unfassbar hohen Ressourcenverbräuche senken. Um meinen privaten Beitrag zur ökologischen Verkehrswende zu leisten ist Car Sharing eine sinnvolle Alternative. Statistiken zeigen, dass Pkw durchschnittlich 23 Stunden am Tag stehen. Dann lieber teilen.

 

Wer aus der Energie- und Umweltszene hat Sie beeindruckt?

Saúl Luciano Lliuya, ein peruanischer Kleinbauer, der den Kohle- und Atomkonzern RWE wegen der Folgen des Klimawandels für seine Heimat verklagt. Dieser Kampf David gegen Goliath, ausgebeuteter Süden gegen reichen Norden, das ist wirklich sehr eindrucksvoll, ein Beispiel, dem hoffentlich weitere folgen.

 

Was war für Sie die wichtigste Energie-Innovation der vergangenen Jahre? Welche würden Sie sich wünschen?

Das ist die Entstehung der Anti-Braunkohlebewegung „Ende Gelände". Es braucht eine starke Klimaschutzbewegung von der Straße, die Politik stellt sich noch zu oft vor die Einzelinteressen von Energiekonzernen, Schwerindustrie, Agrobusiness und Autobauern. Mein Innovationswunsch, als Parlamentarier, ist ein legislativer: Wir brauchen ein nationales Kohleausstiegsgesetz, bis spätestens 2035 muss der letzte Kohlemeiler vom Netz, die 20 schmutzigsten müssen bis 2020 abgeschaltet sein. Als Linker wünsche ich mir eine ideologische Innovation, nämlich die Rückkehr zur politischen Vernunft, Abkehr vom neoliberalen Marktglauben, mehr kluges Ordnungsrecht zur Erhaltung unserer Lebensgrundlagen und Schaffung von gerechtem Wohlstand.