
Notizen aus dem Raumschiff VII
Der Zug fährt durch die Nacht, Kiel entgegen. Das waren einige spannende, aber auch anstrengende Tage in Berlin. Jetzt freue ich mich auf zu Hause und auf Schleswig-Holstein. Zeit außerhalb des Raumschiffs. Ende November, nach meiner ersten Rede, habe ich das letzte Mal in dieser Rubrik geschrieben. Seitdem ist einiges passiert, in meinem Newsletter könnt Ihr eine Auswahl lesen, auf meiner Website nochmal nachvollziehen. Ein Eindruck verfestigt sich bei mir immer mehr: Es ist eine Zeitenwende, auch im Bundestag, eine Art neuer Kulturkampf.
Einige von Euch werden vielleicht sagen: Ohje, schon wieder beschäftigt er sich mit den Rechtsradikalen, und so ganz falsch ist das nicht. Wir hatten Anträge im Bundestag zu Hartz IV, zur Höchstarbeitszeit, haben über den Angriffskrieg der Türkei. Aber wie ein roter Faden zieht sich dadurch die Konfrontation mit dem gesamten Hass der AfD, in jedem ihrer Redebeiträge.
Es gibt ja die Meinung: Lass sie nur machen, dann erledigen die sich von selbst. Ich halte das für fahrlässig. Gerade heute ist eine Studie der Bertelsmann-Stiftung veröffentlicht worden. Demnach stehen in Schleswig-Holstein mittlerweile fast 40 Prozent der Menschen der Demokratie skeptisch gegenüber. Das sind sicher auch Folgen konkreter Erfahrungen der letzten Jahre, von Ausgrenzung, Sozialabbau auf einen, wachsendem Reichtum auf der anderen. Vor allem aber macht es deutlich: Es gibt ein Potential für Hass und Ausgrenzung.
Da sitze ich also im Parlament, zuvor sind drei Ausschussvorsitzende der AfD gewählt worden, an dem Tag, an dem eine Holocaust-Überlebende eine Rede anlässlich des Auschwitz-Gedenktages gehalten hat. Und da sind sie wieder, die Begriffe aus dem Repertoire der Unmenschlichkeit: Da wird im Zusammenhang mit dem Staatsbürgerschaftsrecht vor „Entartung“ gewarnt. Der Angriffskrieg der Türkei wird verteidigt – es ginge da schließlich gegen „Marxisten“, was auch die Solidarität der LINKEN erkläre. Gewarnt wird auch vor „Überfremdung“, ich glaube im Zusammenhang mit dem Wolfsschutz. In jedes Thema quetschen sie ihren Hass und ihre Menschenverachtung, sei die Herleitung auch noch so absurd. Für den Klimawandel muss die sogenannte Flüchtlingskrise herhalten. Der ökologische Fußabdruck von Menschen in Afrika sei dort viel kleiner, wenn sie nach Deutschland kämen, vergrößere sich der Ressourcenverbrauch. Deshalb seien Abschiebungen ein Beitrag zum Klimaschutz. Da sitzt man da und traut seinen Ohren nicht…
Tatsächlich ist der Rechtsruck real: Er findet im Denken und Handeln statt, dem Schüren von Hass. Er findet aber auch statt, wenn SPD und CDU, wie schon in der letzten Legislaturperiode, den Rechtsradikalen entgegenkommen, wie etwa bei der weiteren Aussetzung des Familiennachzugs und ab August mit einer monatlichen Obergrenze für Menschlichkeit. Wirkt der Bundestag wie ein Raumschiff, mir wird doch klar, wie sehr er auch ein Spiegel der Gesellschaft ist und zugleich Ausdruck dessen, was so viele Menschen resignieren lässt: Das Gefühl, es ändert sich eh nichts, und wenn sich etwas ändert, wird es nur schlechter.
Es heißt also Dagegenhalten, widerständig sein, den Mut nicht sinken lassen, sondern sich zusammenschließen mit denen, die an den Werten von Solidarität und Menschlichkeit festhalten. Was mir da immer wieder Auftrieb gibt, ist auch der Kontakt mit den Menschen, wenn ich in Schleswig-Holstein unterwegs bin. Sei es beim Streik der IG Metall oder im Gespräch mit Menschen mit Behinderung, die sich selbst organisieren, um ihre Rechte kämpfen. Oder etwa auf der Kundgebung gegen den Krieg der Türkei und die deutschen Rüstungsexporte. Dann, wenn ich auf Mitgliederversammlungen hier in Schleswig-Holstein mit Genoss*innen beisammensitze, die alle das Ziel teilen, diese Gesellschaft menschlich zu gestalten, darum mit ihrem Herzblut ringen.
Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer. Es ist nicht der Anfang, wir sind mittendrin. Nehmen wir den Kampf auf, der Vernunft neues Leben einzuhauchen. Klingt jetzt pathetisch irgendwie? Stimmt, aber danach ist mir gerade, und manchmal tut es gut, denn die Aufgabe ist groß für uns alle.