Mit der Jungfernrede ist noch lange nicht Ende Gelände

Notizen aus dem Raumschiff VI: Mit der Jungfernrede ist noch lange nicht Ende Gelände

 

Der Wecker klingelt. Dienstag, es ist meine zweite Bundestagssitzung. Gestern hatten wir Fraktionssitzung, haben die beiden Sitzungstage vorbereitet. Etwas verschlafen schalte ich das Handy an. Bing: „Du hast heute Deine erste Rede.“ Ach Du sch… Also rasch unter die Dusche, frühstücken und dann ab in den Bundestag. Es soll um den Kohleausstieg gehen, den

Klimawandel und die Ergebnisse der Weltklimakonferenz.

 

Frauen und Kinder? Nichtmal zuletzt

 

Angesetzt ist der Tagesordnungspunkt für den Abend. Vorher gilt es noch, über sieben Auslandseinsätze abzustimmen, Irak, Syrien, Mali, selbstverständlich auch die Flüchtlingsbekämpfung im Mittelmeer. Unsere Fraktion lehnt alle ab, friedenspolitisch bleiben wir klar. Als eine Abgeordnete der FDP gegen DIE LINKE vom Leder zieht, klatschen auch die Rechtsradikalen frenetisch. Wenn es gegen links geht, sind sich beide einig, wirtschaftspolitisch sind ihre Positionen eh nahezu deckungsgleich. Kein Wunder, dass Weidel und Lindner Anträge vorbereiten, den Familiennachzug weiterhin auszusetzen. Die CSU hat schon angedeutet, da mitziehen zu wollen. Auch wenn die Mehrheit der Deutschen laut „Forschungsgruppe Wahlen“ für den Nachzug von Frauen und Kindern eintritt, nationalistische und nationalliberale Vertreter*innen bleiben bei ihren inhumanen Positionen.

 

Klimawandel, Klimawende

 

Also Klimawandel. Für mich ein globales Thema, das im Kern auch ein soziale Frage ist, kein Lifestyle-Thema. Das habe ich auch in meinem Blog deutlich gemacht, der jetzt zweiwöchentlich im Neuen Deutschland erscheint. Und die Klimawende ist auch in Deutschland nicht nur notwendig, sondern auch machbar und vertretbar, auch aus gewerkschafts- und beschäftigungspolitischer Sicht. Es muss für den notwendigen Strukturwandel in den Braunkohlerevieren beispielsweise auch Geld für den Strukturwandel in die Hand genommen werden, auch auf Bundesebene. Dass das Geld dafür da wäre, ist kein Geheimnis. Dass es um eine politische Richtungsentscheidung geht, auch nicht.

 

Klimademo und Klimagipfel

 

Währenddessen gehen mir die Erinnerungen an die letzten Tag durch den Kopf. Ich habe teilgenommen an der großen Klimademo in Bonn, mit 25.000 Menschen, war froh, dass wir als Linksfraktion so gut vertreten waren. An dem Sonntag danach war ich im rheinischen Braunkohlerevier, am Hambacher Forst, in dem noch immer Aktivist*innen die Stellung halten, in Baumhäusern, teils wochenlang, um die Abholzung und Zerstörung zu verhindern. Als Parlamentarischer Beobachter unserer Fraktion bin ich bei „Ende Gelände“ in einen Polizeikessel geraten. Die Klimaaktivist*innen haben die Kohlebagger gestoppt, ein Zeichen gesetzt.

 

In der Woche vor der Bundestagssitzung war ich nochmal in Bonn, auf dem Weltklimagipfel, gemeinsam mit Benjamin Beutler, meinem wissenschaftlichen Mitarbeiter, der in dem Bereich schon ein „alter Hase“ ist, weil er früher für meine Vorgängerin im Bereich der Klima- und Energiepolitik, Eva Bulling-Schröter gearbeitet hat. Eva ist auch in Bonn, wir machen quasi die Staffelübergabe. Es war spannend, von den Verhandlungen zu erfahren, auch Merkels Rede zu hören, in der sie so gut wie keine konkreten Schritte benennen kann, wie denn die Bundesrepublik noch ihre Klimaziele für 2020 einhalten will. Besonders bewegend und ermutigend ist für mich aber das Zusammentreffen mit Aktivistinnen aus Indonesien und den Philippinen. Sie setzen auch Hoffnungen auf die außerparlamentarische Bewegung in den europäischen Industriestaaten, damit es endlich Gerechtigkeit gibt für den globalen Süden, der am meisten bereits jetzt unter den Folgen des insbesondere von den westlichen Industriestaaten gemachten Klimawandels leidet. In der kurzen Zeit, seit ich jetzt im Bundestag bin, ein breiter Fundus an Erfahrungen, aus dem ich für meine Rede schöpfen kann.

 

Alle reden hier vom Klimawandel…

 

Also hocken mein Mitarbeiter Ben und ich uns hin, arbeiten an der Rede, überarbeiten sie, ergänzen. Ganz schön aufgeregt bin ich, vor meiner Jungfernrede. Ich habe zwar schon unzählige Reden gehalten, auf Parteitagen, bei Konferenzen, auf Demos, aber das hier ist dann doch schon etwas anderes, auch im Bewusstsein der allgegenwärtigen Kameras. Ich probe die Rede, überlege hin und her, ob ich sie frei halten oder ablesen soll. Letztlich entscheide ich mich doch dafür, mich fürs erste Mal ans bedruckte Papier zu halten, mit mehr Sicherheit und längerer Vorbereitung mag das beim nächsten Mal anders sein: Also geht es los, der von den Grünen beantragte TOP zur Klimapolitik. Die grüne Fraktion hat einen Antrag vorgelegt, der in die richtige Richtung weist. Der Redner der Grünen allerdings ist etwas anstrengend, in seinem neoliberalen Gerede vom Standortvorteil, den Investitionen in Erneuerbare Energien mit sich bringen würden. Es geht bei ihm wesentlich um die deutsche Wirtschaft, dass es um eine Menschheitsfrage geht, wir nicht durchgehend deutlich. Der Vertreter der Rechtsradikalen treibt in seiner Rede dann das Gespenst der Deindustriealisierung durch den Raum, die Leugnung des Klimawandels klingt mehr als an. Neben Rassismus, Menschenverachtung und Frauenfeindlichkeit haben sie eben auch diese Sorte der Angstmacherei im Angebot.

 

Nach dem Beitrag der AfD schreibe ich an einer Stelle meine Rede noch einmal rasch um. Erst wollte ich gar nicht so sehr auf sie eingehen. Aber ich bin überzeugt, man muss ihnen widersprechen, auch öffentlich, darf ihre menschen- und vernunftfeindlichen Positionen nicht einfach im Raum stehen lassen. Das machen wir übrigens auch am nächsten Tag, als die Rassisten beantragen, syrische Geflüchtete in ihr Land „zurückzuführen“ und dafür Verhandlungen mit Assad aufzunehmen. Nein, keinen Fußbreit diesem Hass, niemals wieder.

 

Bin ich jetzt im Fernsehen?

 

Dann bin ich dran, mit meiner Rede. Ein bisschen läuft mein erstes Mal wie im Film vor mir ab, ich sehe den Beifall meiner Fraktion, vereinzelten Beifall bei den Grünen, von der Rechten höre ich die Zurufe, mit denen mich der Gauleiter und seine Leute versuchen, aus dem Konzept zu bringen. Ja, es ist doch etwas anderes, als vor einem interessierten Publikum zu reden. Für die Rede bekomme ich nachher viel Zuspruch, von den Abgeordneten meiner Fraktion, auch bei Facebook oder in direkten Nachrichten. Ich nehme mir aber vor, mir in Zukunft noch viel klarer zu machen, an wen diese Reden adressiert sind: An die Menschen da draußen, die das mitbekommen, mit denen wir für eine andere Welt kämpfen, für die Bündnisse und Bewegungen.

 

Wenn ein Team funktioniert

 

Achja, da war ja noch was: Ich habe endlich ein Büro, muss nicht mehr den Unterschlupf, den ich bei meiner Kollegin Conni gefunden habe, in Anspruch nehmen. Auch für Franziska, meine Büroleiterin, bei der alle Fäden zusammenlaufen, und Ben ist das besser, produktiver. An dieser Stelle schonmal ein Lob an unser Dreierteam. Wir haben gemeinsam schon eine Menge auf die Beine gestellt. Absehbar wird das Team im Bundestag noch um eine weitere Person wachsen, die Stellen für Schleswig-Holstein, für meinen Wahlkreis, sind auch bereits ausgeschrieben. Insgesamt ein guter Start. So kann es weitergehen.