
Das erste Mal als „Parlamentarischer Beobachter“ für die Linksfraktion
Bis jetzt habe ich nur aktiv teilgenommen an Protesten und Blockaden gegen Naziaufmärsche, ob in Dresden, Lübeck oder Neumünster. Habe bei G20 in Heiligendamm protestiert, in Hamburg oder in Lübeck gegen das Außenministertreffen der G7. Nachdem ich als Nordlicht neu in den Bundestag gewählt worden bin, mich in der Linksfraktion des Themas Klima- und Energiepolitik annehme, habe ich mich bereit erklärt, mit anderen
Abgeordneten unserer Fraktion die Aktionen von „Ende Gelände“ im rheinischen Braunkohlerevier zu begleiten. Aufgabe: Die Aktivitäten beobachten, eventuell vermitteln und dafür eintreten, dass die Rechte der Demonstrierenden gewahrt bleiben.
Bereits am Samstag haben wir in Bonn gemeinsam mit 25.000 Menschen für den Stopp der Kohleverstromung für den Kampf gegen den Klimawandel protestiert. Auf den Transparenten, in fast allen Redebeiträgen war gegenwärtig, dass wir als Menschheit letztlich nur eine Chance haben, wenn wir die Klimafrage begreifen als Teil des Kampfes gegen globale Ungleichheit, gegen die Ausbeutung des globalen Südens: „System change, not climate change!“
Entsprechend optimistisch ging ich in den Sonntag. Passend zum Beginn unserer Protestzuges in Richtung Hambacher Braunkohle-Tagebau stoppte der Regen, der die ganze Nacht durch die Böden durchnässt hatte, die Sonne wies uns den Weg. Und 4500 Menschen, engagiert entschlossen, Lieder und Slogans singend, tanzend, machten sich auf. Beeindruckend war die Buntheit der Menschen, die auch auf den Transparenten zum Ausdruck kam: Es fanden sich antifaschistische und flüchtlingssolidarische Parolen, queerfeministische und antikapitalistische Slogans, die Teil des bunten Klimaprotests sind.
Erst ging es über befestigte Straßen, dann über Feldwege, einen Abschnitt einer stillgelegten Autobahn. Die Polizei hielt sich im Hintergrund, begleitete mit wenigen Einsatzkräften den Zug, der sich nach und nach in verschiedenfarbige „Finger“ aufteilte, die jeweils den Zugang zur Grube suchten. Die Stimmung war entspannt und fröhlich. Am Rande eines Feldes ging es schließlich an den Rand des Tagebaus, einen Bagger sah man schon dort, in der Ferne Windräder als Boten der zukünftigen Welt, aber auch riesige Schwaden an Rauch aus den Schloten der Kohlekraftwerke in der Nähe von Köln.
Die Polizeikräfte hielten sich weiter zurück, versuchten nicht, das Eindringen in den Tagebau zu verhindern (was angesichts von etwa 1000 Menschen, die sich dort versammelten, auch schwer gewesen wäre), machten nur durch Megafon deutlich, an der 40 Meter tiefen Abbruchkante herrsche Lebensgefahr. Also machten sich die Aktivist*innen auf in Richtung Bagger. Auf dem Abstieg sicherten Menschen den Weg ab, gaben Hilfestellung. Nach einer kurzen Pause auf einem Plateau ging es durch den eigens von RWE in Erwartung der Proteste gezogenen Graben.
Gemeinsam mit zwei Landtagsabgeordneten der Grünen bin ich den Protestierenden gefolgt. Als sie unter einem stillgelegten Förderband hindurchkrochen, wurden sie auf der anderen Seite bereits von Polizei erwartet. Den allermeisten gelang es, die Polizeitrupps zu umfließen und in Richtung Bagger zu laufen, etwa zehn Leute wurden von Pfefferspray getroffen und mussten behandelt werden. Die Szenerie war etwas gespenstisch, weil durch Lautsprecher von RWE beständig Warnungen durchgesagt wurde, unterbrochen vom Geheul der Werkssirenen.
Vor dem Bagger, an der Abbruchkante, bildeten die „Ende Gelände“-Aktivist*innen einen großen Kreis, tanzten, sangen, lachten, unterhielten sich. Plötzlich setzte starker Rege ein, fast zeitgleich ritt eine Reiterstaffel heran und die Polizei begann, die Menschen einzukesseln, setzte massiv Pfefferspray ein. Eine Reiterin überritt mit ihrem Pferd eine Person, wir als Beobachtende hatten den Eindruck, als sei das Pferd kurz auf der Person gestanden. Jedenfalls kann von Glück gesprochen werden, dass das Pferd die Person nur leicht verletzte. Wie der Regen aus heiterem Himmel kam, so war es auch mit der Eskalation: Die Polizei schien mir zuerst auf Deeskalation zu setzen, die Proteste friedlich ablaufen zu lassen. Entsprechend schockiert waren augenscheinlich die Teilnehmer*innen von „Ende Gelände“.
Wir drei Parlamentarische Beobachter*innen begaben uns ganz bewusst in den Kessel, um die Situation zu beobachten, möglicherweise auch zu beruhigen. Mehrere Menschen baten uns, sie zu begleiten, weil sie austreten mussten. Als wir mit der Polizei sprachen, verweigerten sie uns allerdings das Verlassen des Kessels, sie meinten, die Personen sollten sich doch im Kessel ein Loch graben, inmitten der anderen Menschen. Im Trubel, als die Polizei attackierte, hatte auch eine Person ihre Brille verloren. Wir fragten, unter Verweis auf unseren Abgeordnetenstatus, nach, ob wir die Brille, die kurz hinter der Polizeikette liegen musste, suchen dürften, wir würden auch wieder in den Kessel zurückgehen. Auch wenn die Person ihre Brille brauchte, auch das wurde uns verweigert. Schließlich kam die Situation zur Ruhe, die Polizeikräfte verhielten sich ruhig und es durften sogar Menschen ihre Notdurft außerhalb des Kessels verrichten. Es wurde die Nachricht durchgegeben, alle Anwesenden könnten die Grube verlassen, müssten sich fotografieren lassen und bekämen einen Platzverweis. So zogen nach und nach alle Aktivist*innen ab, sich gegenseitig zujubelnd, Beifall klatschend, nass, aber glücklich über die erfolgreiche Aktion.
Mein Fazit meiner Rolle als Parlamentarischer Beobachter: Es war gut, dass wir anwesend waren, das wurde uns auch von Aktivist*innen immer wieder bestätigt. Wir konnten beobachten, dokumentieren, hier und da auch beruhigend einwirken. Es ist wichtig, dass wir hier als linke Abgeordnete unsere Funktion nutzen und uns solchen Situationen stellen. „Ende Gelände“ war insgesamt nach der Klimademo am Samstag eine weitere großartige Aktion. Ob bei der Weltklimakonferenz substanzielle Fortschritte erreicht werden, ist fraglich. Dass Menschen gegen den Klimawandel überall in Bewegung kommen, auch vor solchen Aktionen des zivilen Ungehorsams nicht zurückschrecken, ist angesichts dessen ein Signal, das Hoffnung macht.