Grundsatzrede beim Wahlprogramm-Parteitag

Bild zeigt Lorenz Gösta Beutin, Politiker DIE LINKE. Schleswig-Holstein, bei Rede in Neumünster.
Beim Wahlprogrammparteitag in Neumünster

Am 5. und 6. November hat DIE LINKE. Schleswig-Holstein auf einem Landesparteitag in Neumünster über ihr Programm für die Landtagswahl am 7. Mai 2017 beraten. Hier meine Grundsatzrede, die ich dort als Landessprecher zu Beginn gehalten habe:

 

Liebe Genossinnen und Genossen,

 

ich werde Euch jetzt einen kleinen Parforceritt zumuten müssen, mit einigen grundsätzlichen Bemerkungen zur politischen Lage, zur Strategie unserer Partei sowie zum Wahlprogramm.

Eigentlich wollte ich anders einsteigen. Doch die Verhaftung des Vorsitzenden unserer Schwesterpartei HDP und weiterer Mitglieder machen es notwendig, gleich zu Beginn etwas dazu zu sagen:

 

Solidarität mit der HDP

 

Nach dem Putschversuch erleben wir in der Türkei einen Putsch von oben, die Demontage der Demokratie und die Errichtung eines autoritären Regimes. Die EU hat sich bis jetzt sehr ruhig verhalten, auch die Kritik der Bundesrepublik war, wenn überhaupt, verhalten. Der Türkei-Deal soll nicht gefährdet werden. Lieber lassen sie Geflüchtete auf dem Mittelmeer sterben oder halten sie an den EU-Außengrenzen mit Gewalt ab, als dass man sich vor Ort mit den Geflüchteten, mit den Ursachen ihrer Flucht oder der Integration auseinandersetzen muss.

 

Wir sagen: Das Schweigen muss ein Ende haben. Die Bundesrepublik muss den Türkei-Deal aufkündigen und die Bundeswehr aus Incirlik abziehen. Auf die Türkei muss Druck ausgeübt werden von der internationalen Staatengemeinschaft, politische Verfolgung und Mord zu stoppen. Wir sind solidarisch mit der HDP und allen politisch Verfolgten in der Türkei. Im Anschluss an die Mittagspause werden wir dazu über eine Solidaritäts-Erklärung abstimmen.

 

Unsere Solidarität gegen ihren Hass

 

Gestern habe ich in Flensburg an einer Podiumsdiskussion an der Kurt-Tucholsky-Schule teilgenommen. Großartig war zu sehen, dass der Kandidat der AfD, der von der Schulleitung trotz Widerstands eingeladen worden war, Gegenwind aus den Reihen der Schüler*innen bekommen hat, von Beginn an. Der AfD-Kandidat hat Geflüchtete zu einem Kostenfaktor erklärt, der den deutschen Staat belasten würde. In seiner Position ist beides vereint, der Rassismus verbunden mit dem Neoliberalismus, der die Menschen zu bloßen ökonomischen Größen erklärt. Das sind die Positionen, denen wir auch im Wahlkampf klare Kante zeigen werden.

 

Ich bin stolz auf uns hier im Norden, stolz, dass wir aktiv Geflüchteten geholfen haben, sei es in Lübeck, Flensburg oder Kiel, im Kreis Plön oder anderswo. Wir leben das, was unsere Politik ausmacht: Solidarität.

 

Nein, wir sind es nicht, die sich rechtfertigen müssen, weil wir solidarisch sind. Wenn sie uns als Gutmenschen im Wahlkampf beschimpfen, ist das für uns ein Kompliment. Wir setzen uns gegen die Spaltung in der Gesellschaft zur wehr. Wir setzen uns zur Wehr gegen den Wind des Hasses, der durch die Köpfe und die sozialen Netzwerke fegt. Und wir schauen nicht weg, wir benennen die Brandstifter, die Höckes, Gaulands oder Petrys. Was wir tun werden, was auch unsere Wähler*innen von uns erwarten, in der politischen Praxis vor und nach den Wahlen ist: Eine konsequente Haltung, zu sagen was ist, aufzustehen gegen Menschenfeindlichkeit. Gegen ihren Hass und ihre Politik der Angst setzen wir unsere Solidarität!

 

Diese Politik hat schon längst jegliche Glaubwürdigkeit verloren

 

Aber wenn wir von Solidarität sprechen, meinen wir nicht nur die Solidarität mit Geflüchteten, wir meinen die Solidarität aller Menschen in dieser Gesellschaft. Eine solidarische Gesellschaft, eine Gesellschaft der Freien und Gleichen, eine demokratisch-sozialistische Gesellschaft ist unser Ziel. Momentan bewegt sich diese Gesellschaft aber in die andere Richtung, die Spaltung unserer Gesellschaft nimmt zu, auch und besonders sozial. Der Nährboden für die braunen Biedermänner und Brandstifter ist die soziale Spaltung unserer Gesellschaft.

 

Ein aktuelles Beispiel: In dieser Woche ist bekannt geworden, dass die HSH Nordbank einem Hamburger Reeder über eine halbe Milliarde Euro an Schulden erlassen hat. Das Ganze mit Wissen der Landesregierung. Pikant dabei: Dieser Reeder ist nicht nur einer der reichsten Hamburger Pfeffersäcke, er saß auch 2004 bis 2015 im Beirat der HSH. Nicht ganz abwegig, da nicht nur einen Hauch von Korruption zu vermuten.

 

Wie aber soll so eine Politik noch den Menschen vermittelt werden? Da haben wir auf der einen Seite die Argumentation, für die kostenlose KiTa sei kein Geld da, noch weniger für die Bekämpfung von Armut oder die Sanierung unserer Infrastruktur, von Straßen oder maroden Schulen. Diese Landesregierung hat immer ein paar Milliarden zur Hand, wenn es darum geht, in die Banken zu investieren. Um aber in die Zukunft von Menschen zu investieren, ist kein Geld da.

 

Die Politikverdrossenheit kann uns da nicht wundern. Diese Politik hat lange schon jede Glaubwürdigkeit verloren. Es ist ja noch viel absurder, das Geld wäre da. Zum einen sprudeln die Steuereinnahmen, zum anderen haben wir eine Situation, in der sich der Staat Geld leihen kann und dafür sogar noch Zinsen zurückbekommt. Hätten wir endlich eine Vermögenssteuer und würde unsere Erbschaftssteuer endlich nicht mehr die Besitzer großer Vermögen entlasten, sähe es ganz anders aus. Wer jetzt im Wahlkampf kommt und sagt, es sei kein Geld da, um in sozialen Wohnungsbau zu investieren, in unsere Schulen, in die Förderung von Kindern oder Alleinerziehenden, dem möge man bitte links und rechts die faulen Schiffskredite der HSH um die Ohren hauen.

 

Wir machen keinen Wahlkampf aus der Vogelperspektive

 

Im Wahlkampf werden wir genau diese Themen in den Mittelpunkt stellen: Die Notwendigkeit einer solidarischen Gesellschaft, gegen die soziale Spaltung. Wir machen das dabei nicht aus der Vogelperspektive: Wir lieben und leben in diesem Schleswig-Holstein. Wir sind betroffen von prekären Arbeitsverhältnissen, von sozialer und kultureller Ausgrenzung, von der Wohnungsnot, von einem schlecht ausgebauten Öffentlichen Personennahverkehr, von einem Bildungssystem, das mit G8 die Schüler*innen triezt, aber nicht genug Lehrer*innen anstellt, um die riesigen Unterrichtsausfälle zu kompensieren. Wir sind Teil dieser Gesellschaft, Teil dieses Landes und deshalb kämpfen wir für ein gutes Leben für alle Menschen, die hier leben.

 

Im Wahlbüro, im Landesvorstand und im Landesrat haben wir in diesem Sinne unsere Wahlstrategie diskutiert und beschlossen: Wir werden auf eine klare, konsequente Haltung setzen. Wir werden das Thema soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt unseres Wahlkampfes stellen. Dieses muss sich wie ein roter Faden durch alle Themenfelder schlängeln. Und wir werden einen bunten, kreativen und offensiven Wahlkampf führen.

 

Für einen vielfältigen Wahlkampf

 

Dazu gehört es zum einen, darauf verweise ich gerne noch einmal, dass wir unterschiedliche Aktionsformen ermöglichen, nicht verhindern. Wer eine Diskussionsveranstaltung organisieren möchte, soll das gerne tun. Wer einen Flashmob organisieren möchte, bitte. Wer gerne Plakate hängen möchte oder Infostände machen, unbedingt. Wir machen einen Wahlkampf, in dem ermöglicht, nicht verhindert wird.

 

[Kürzungen eines Abschnitts mit wesentlich organisatorischen und parteiinternen Anmerkungen]

 

Kurz und gut, ich denke, wir sind gut aufgestellt, um in einen erfolgreichen Wahlkampf gehen zu können!

 

Wir sind die soziale Alternative zur neoliberalen Alternativlosigkeit

 

Das Wahlprogramm, das Ihr jetzt vor Euch liegen habt, wird dafür unsere Grundlage sein. Wir werden heute und morgen intensiv daran arbeiten und diskutieren, es verändern und verbessern. Jedes Mitglied hatte die Möglichkeit, sich an der Erarbeitung dieses Programms und der einzelnen Teile zu beteiligen, es in den Kreisen oder auf der Landesmitgliederversammlung weiterzuentwickeln. Es ist auch Ausdruck dessen, wo wir als Partei gerade stehen und wohin wir wollen. Worauf ich noch einmal aufmerksam machen möchte: Dieses Wahlprogramm ist kein Parteiprogramm. Es finden sich darin Forderungen, die wir gleich zu Beginn der Legislaturperiode in den Landtag einbringen werden, aber auch Projekte, die einen längeren Atem, eine längere Vorlaufzeit brauchen. Beides hat seinen Platz.

 

Was mir dabei sehr wichtig ist: Wir sollten nicht den Eindruck erwecken, dass wir all dies in der nächsten Legislaturperiode umsetzen können. Unser Anliegen ist es, mit diesem Wahlprogramm deutlich zu machen, dass es eine Alternative gibt zum „Weiter so“ der aktuellen Landesregierung und zu den hasserfüllten vermeintlichen Antworten von Rechts. Die soziale Alternative zur neoliberalen Alternativlosigkeit sind wir.

 

Ein Kurzwahlprogramm soll das Langwahlprogramm ergänzen

 

Ich will auch nicht verhehlen: Ich habe ursprünglich gehofft, dass wir ein sehr kurzes, knackiges Programm hinbekommen. Aber wir haben sehr schnell gemerkt, dass wir doch zum Teil längere Analysen und Zustandsbeschreibungen brauchen, dass grundsätzliche Positionen auch ausführlich festgehalten werden müssen. So ist es also dieses Langwahlprogramm geworden, dass Ihr vor Euch habt.

 

Zum einen werden wir dieses Programm nach der Beschlussfassung noch einmal durch kämmen, es sprachlich vereinheitlichen und in ein einheitliches Format bringen. Zum anderen, und das ist auch Bestandteil unserer Wahlstrategie, werden wir die wesentlichen Punkte dieses Wahlprogramms in einem Kurzwahlprogramm zusammenfassen. Das machen wir gemeinsam mit unserer Werbeagentur, und was dabei herauskommt wird auch in lesbarer, verständlicher und knackiger Form eines unser Massenverteilungsmaterialien für den Wahlkampf sein.

 

Wir können optimistisch in diesen Wahlkampf gehen. Wir haben die richtigen Themen und die richtige Haltung. Wir sind nicht erst seit heute in den Bewegungen aktiv, in den Gewerkschaften und Initiativen, und das spiegelt sich auch in der ganzen Vielfältigkeit unseres Wahlprogramms wieder:

 

Kampf gegen Armut als zentraler Punkt

 

Einer der Ursprünge der LINKEN ist die Bewegung gegen die Agenda 2010. Hier sind viele Mitglieder von uns immer noch aktiv, auch wenn das in der öffentlichen Wahrnehmung etwas zurückgetreten ist. Deshalb steht der Kampf gegen die Armut, für eine sozial gerechte Gesellschaft gleich zu Beginn unseres Wahlprogramms. Wir setzen uns nicht nur für ein Verbot von Stromsperren ein oder gegen das Sanktionsregime der Arbeitsagenturen, auch unsere Forderung einer kostenfreien Schüler*innenbeförderung gehört dazu, und zwar für alle Schüler*innen, auch über die 10. Klasse hinaus. Oder wem ist vermittelbar, dass für Kinder, die in die 11., 12. oder 13. Klasse gehen, keine Fahrtkosten übernommen werden? Soziale Ausgrenzung fängt hier an. Das Signal ist: Wer es sich nicht leisten kann, hat das Nachsehen. Wir wollen, dass diese Diskriminierung ein Ende hat.

 

Und selbstverständlich ist diese Forderung der erste Schritt hin zu einem kostenfreien ÖPNV. Denn wir sind der Überzeugung, dass es den Ausstieg aus dem Zeitalter des Autos nur geben wird, wenn die Anreize vergrößert werden und gleichzeitig der ÖPNV auch auf dem Land wesentlich verbessert wird.

 

Wir setzen uns auch dafür ein, die Beitragsfreiheit der frühkindlichen Bildung umgehend umzusetzen. Das Geld ist u.a. durch wachsende Steuereinnahmen vorhanden. Dass die Landesregierung es nicht einmal geschafft hat, ein einziges KiTa-Jahr wie versprochen beitragsfrei zu machen, ist schon ein Offenbarungseid.

 

Sozialer Wohnungsbau, gute Arbeit, ÖBS

 

Ein Thema wird auch der Kampf für günstigen sozialen Wohnungsbau sein. Wir wollen günstigen Wohnraum u.a. durch eine wirksame Mietpreisbindung für öffentlichen und öffentlich geförderten Wohnraum sowie die Wiederbelebung des öffentlichen sozialen Wohnungsbaus schaffen.

 

Wenn es um soziale Gerechtigkeit geht, geht es auch um gute Arbeit. Viele Menschen leben auch deshalb in unsicheren Verhältnissen, haben Existenzangst, weil sie von ihrer Arbeit nicht leben können. Schleswig-Holstein ist bei atypischer und prekärer Beschäftigung Spitzenreiter. Auch die aktuelle Landesregierung hat es nicht geschafft, daran etwas zu ändern. Ein Schritt wäre es, den vergaberechtlichen Mindestlohn auf 12 Euro zu erhöhen und aufzunehmen, dass keine Aufträge an Firmen rausgehen, die bspw. Leiharbeiter*innen beschäftigen. Tatsächlich werden wir auch auf Initiativen auf Bundesebene drängen müssen zur Anhebung des Mindestlohns auf ein Niveau, das ein Leben oberhalb der Armutsgrenze und eine existenzsichernde Rente ermöglicht.

 

Ein Projekt, das mir sehr am Herzen liegt, ist der Öffentliche Beschäftigungssektor. Hier gibt es bereits gute Erfahrungen aus unserer Zeit in der Berliner Landesregierung, auch in Thüringen und Brandenburg laufen Modellprojekte. Wir wollen statt Erwerbslosigkeit zu finanzieren auskömmliche und sozialversicherungspflichtige Arbeit schaffen. Wir wollen den Menschen, die erwerbslos sind und gnadenlos vom Sanktionsregime getrieben werden, helfen, aus dem Hamsterrad auszusteigen. Der öffentliche Beschäftigungssektor ist ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal, er ist praktikabel und umsetzbar und er ist ein Schritt hin zu einer Gesellschaft, in der nicht die Wirtschaft über die Würde des Menschen bestimmt.

 

Die Verteilungsfrage auch im Wahlkampf stellen

 

Ja, auch im Wahlkampf werden wir es sagen: Es geht nicht ohne einen grundlegenden Politikwechsel. Wir brauchen die Debatte über Gerechtigkeit in dieser Gesellschaft, und wir haben sie auch schon, denken wir nur an die Rentendiskussion, die auch von den Gewerkschaften mit befeuert wird. Wir müssen wieder mehr Gerechtigkeit wagen, wir müssen den gesellschaftlichen Reichtum umverteilen. Wir müssen die Reichen und Vermögenden zur Finanzierung unseres Gemeinwesens stärker heranziehen. Wir brauchen nicht nur ein gerechtes Steuersystem mit einer Vermögenssteuer. Wir brauchen auch eine solidarische Bürger*innenversicherung, in der die paritätische Finanzierung wiederhergestellt ist, in die alle einzahlen. Das gleiche gilt für die Rente. Wir setzen uns für eine gute Rente für alle ein, in die alle einzahlen. Diese Debatten werden uns begleiten, weil der Bundestagswahlkampf seine Schatten vorauswirft, und es wird auch unsere Positionen stärken.

 

Ich bin überzeugt: Wir schaffen das mit einem engagierten Wahlkampf. Wir brauchen eine starke LINKE im Landtag, die denen eine Stimme gibt, die in der aktuellen Politik keine Stimme mehr haben. Wir kämpfen gegen Armut, für ein gutes Leben für alle, für gute Löhne und eine gute Rente, für mehr Gerechtigkeit und mehr Demokratie. Wir sind sozial, konsequent und unbestechlich. So, nicht anders, geht links.


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