
Heute, am 15. Juli, soll das griechische Parlament das "Vertrauen" der Troika wiederherstellen und eine Reihe an Maßnahmen im Parlament beschließen, zuvor im Referendum mit einem deutlichen "Oxi" abgelehnt worden sind. "#ThisIsACoup" hieß es auf Twitter – und tatsächlich kommen die Ergebnisse einem Staatsstreich nahe. Doch wie verhält sich die Linke, was wären ihre Aufgaben?
Ist die Weigerung, den "Kompromiss" mitzutragen unbegründet?
Eine konsistente, zweifelsfreie Antwort darauf lässt sich schwer finden, zu sehr überschlagen sich die Ereignisse. In einem Papier schreiben Björn Radke und Joachim Bischoff: „Die harsche Verweigerung, diesen Kompromiss zu unterstützen, die von Teilen der Linkspartei propagiert und mit superschlauen Ratschlägen garniert wird, ist aus unserer Sicht unbegründet und politisch unakzeptabel.“ Es ist schon ein gerütteltes Maß an Wahrnehmungsverweigerung nötig, um eine kritische Position zum Unterwerfungsdiktat als "unbegründet und politisch unakzeptabel" zu denunzieren. Selbst der IWF weist die Hoffnung, Griechenland könne durch die vereinbarten Maßnahmen zu einem Wachstumskurs zurückfinden, als illusorisch zurück.
Es kann nicht darum gehen, sich das Diktat als „Kompromiss“ schönzureden und damit selbst hinter gemäßigt liberale Positionen wie aus Kreisen der Grünen zurückzufallen. Selbstverständlich ist es richtig: Jetzt Verrat zu rufen und Tsipras als "Umfaller" zu titulieren abstrahiert von den realen Machtverhältnissen in Europa. Auch ist das Fehlen einer linken europäischen Bewegung, das Fehlen einer realen Gegenmacht in Deutschland sicherlich nicht zu unterschätzen. Aber wer das OXI zurecht unterstützt hat, kann nun schwerlich das Diktat unterstützen!
Analyse der Versäumnisse ist notwendig
Angebracht wäre jetzt eine kritische Analyse eigener Versäumnisse innerhalb der deutschen Linken, verbunden mit dem Protest gegen das Konzept der "marktkonformen Demokratie". Solidarität kann nicht heißen, alle Entscheidungen der griechischen Regierung (die in diesem Fall Folge roher Erpressung sind) mitzutragen, sondern muss auch bedeuten, solidarisch zu sein mit den sozialen Bewegungen und Gewerkschaften in Griechenland, die sich dem Diktat entgegenstellen.
Im Übrigen scheint Tsipras selbst nicht überzeugt von einer positiven Wirkung des „Kompromisses“, zumindest hat er in seiner Stellungnahme im griechischen Staatsfernsehen geäußert: „Ich übernehme die Verantwortung für einen Text, an den ich nicht glaube, aber den ich unterzeichnet habe, um ein Desaster für das Land zu vermeiden, den Kollaps der Banken.“ Und auch die Mehrheit des Zentralkomitees von Syriza hat das Diktat unter Berufung auf die Ergebnisse des Referendums mit klaren Worten abgelehnt.
Es ist nicht unser Job, Syriza Ratschläge zu erteilen
Wo aber Radke und Bischoff recht haben: Es ist nicht an der deutschen Linken, Syriza vermeintlich schlaue Ratschläge zu erteilen. Unser Job ist es, die Solidarität vor Ort zu organisieren, in aller Schärfe also das Agierten der deutschen Bundesregierung zu kritisieren. Wenn nun Gregor Gysi unter dem Titel „Ja in Griechenland – Nein in Deutschland“ mutet dieser Ratschlage an die griechischen Abgeordneten, mit „Ja“ zu stimmen, sonderbar an. Sind tatsächlich alle Alternativen zu einer marktradikalen Politik in Griechenland ausgelotet worden? Ist die Zustimmung zum Diktat ohne Alternative? Oder gibt es andere Wege, die bspw. der ehemalige Finanzminister Yanis Varoufakis, der den Coup in harschen Worten kritisiert, versucht hat auszuloten? Vielleicht sollte die deutsche Linke sich hier auf ihre Aufgaben vor Ort konzentrieren, auf den Angriff im „Herzen der Bestie“?!
Verstößt das Diktat gegen die "deutschen Interessen"?
Da hilft es auch nicht, wie in einigen Stellungnahmen, zu betonen, das Diktat verstoße gegen "deutsche Interessen" oder die Interessen der „deutschen Steuerzahler“. Schäuble hat, mit Billigung Sigmar Gabriels im Interesse der deutschen Hegemonialposition den bestmöglichen Job gemacht, wenn man davon ausgeht, das Ziel sei es gewesen, eine Alternative zum gegenwärtigen Austeritätsregime zu vernichten. Uns als Linken sollte es also weder um „deutsche Interessen“ noch um die der „deutschen Steuerzahler“ gehen, sondern um die Alternative, ob eine Politik für das Kapital und gegen die Mehrheit der Bevölkerungen fortgesetzt wird – oder nicht! Die Konstruktion eines völkischen Subjekts, an das wir appellieren könnten, hilft da nicht weiter, schon gar nicht in Deutschland, wo die Zustimmung zum gegenwärtigen Diktat enorm ist. Der „kleinliche Chauvinismus“ (Reinhard Bütikofer) der SPD ist leider aktuell der adäquate Ausdruck des „Meinens“ (Adorno) der großen Mehrheit in der deutschen Bevölkerung.
Europäische Gegenmacht zum Austeritätsregime aufbauen!
So bitter es klingt: Wir müssen wohl festhalten, dass es nicht annähernd gelungen ist, so etwas wie eine europäische Gegenmacht aufzubauen, trotz einiger Versuche (etwa Blockupy). Zwar hat Syriza Brüche erzeugt in neoliberalen Regime und Hoffnung gegeben. Doch diese Risse imn der neoliberalen Hegemonie sind nicht ausreichend genutzt worden. Statt nun also den Verrat eigener Projektionen zu beklagen, wäre es an uns, unsere Anstrengungen für eine linke, europäische Gegenmacht sowohl im Parlament als auch auf der Straße zu intensivieren. Die Frage, ob die deutsche Hegemonialpolitik mit Erpressungen und Diktaten erfolgreich ist oder ob die Sichtbarwerdung dieser Unterwerfungspolitik zu einem neuen Aufbruch wird, liegt zu einem Teil auch an uns. Deshalb sollten sich Linke nicht nur heute, sondern auch in den nächsten Wochen und Monaten unter dem Dach des „Oxi“ zu dieser menschenfeindlichen, undemokratischen Politik versammeln und die Solidarität endlich europaweit praktisch werden lassen.