
Im ver.di Bildungs- und Begegnunszentrum Clara Sahlberg (BBZ) am Berliner Wannsee fand 2014 vom 30. Mai bis 1. Juni die Tagung "Das Denken der Zukunft muss Kriege Unmöglich machen. Der Krieg in
Kunst, Literatur und Wissenschaft" statt. Ich habe dort zu Leonhard Frank referiert, mit dem ich mich noch weiter beschäftigen werde. Nun ist der Tagungsband beim Verlag talheimer erschienen (296 Seiten,29,00€, ISBN 978-3-89376-164-7). Mein Aufsatz darin auf den Seiten 123 bis 145 trägt den Titel: "Geopfert im Stacheldraht des
Vaterlandes. Leonhard und der Erste Weltkrieg." Doch ich kann den Band nicht nur empfehlen wegen meines Beitrags, sondern wegen der Fülle an spannenden Beiträgen zur Frage von Krieg oder Frieden,
etwa zur Kriegspropaganda vor dem Ersten Weltkrieg, zur Kriegsschuldfrage, zu Arnold Zweig, Heinrich Böll oder Albert Einstein u.a.
Hier folgen als Appetizer die Gliederung meines Aufsatzes sowie zwei Auszüge aus Einleitung und Fazit:
Gliederung:
- Einleitung
- Vorkrieg
- Kritik an Erziehung und Staat
- Die Suche nach der Ursache
- Kritik an Erziehung und Staat
- Krieg
- Das leidenschaftlichste Buch gegen den Krieg
- Vom Nichtvorhandensein der Liebe und dem Feld der Ehre
- Ist dem Menschen verstattet, gut zu sein?
- Das leidenschaftlichste Buch gegen den Krieg
- Nachkrieg
- Niemandsland
- Niemandsland
- Fazit: Leonhard Frank zu lesen, heißt sich zu positionieren
Aus der Einleitung:
„Pazifismus und die Überwindung des Nationalstaates sind nicht die einzig denkbaren Schlussfolgerungen aus den Weltkriegen. […] Einen Menschenrechtsinterventionismus, der sich nicht an nationale Interessen bindet, versteht außerhalb Deutschlands kein Mensch.“ (Die Welt v. 4.1.2014) So sieht es aus, wenn vier deutsche Historiker*innen die Thesen Christopher Clarks verteidigen. Da wird flugs die deutsche Außenpolitik aus der ‚Erkenntnis’ heraus begründet, dass das Deutsche Kaiserreich lediglich, „getrieben von Abstiegsängsten und Einkreisungssorgen, das defensive Ziel [gehabt habe], jene prekäre Situation einer begrenzten Hegemonie auf dem europäischen Kontinent wieder zu errichten“. (Ebd.) Hundert Jahre nach dem Beginn des Ersten Weltkriegs machen sich einige, die ihre Wissenschaft als Legitimationswissenschaft zu begreifen scheinen, daran, den Stand der Geschichtsforschung an die neue Rolle Deutschlands als europäischen Hegemons anzupassen.
Leonhard Frank waren solche Windungen, wie sie heutige Historiker*innen mit Blick auf den Ersten Weltkrieg vollziehen, fremd. 1915 musste der „leidenschaftlich-humanistische[.] Friedenskämpfer“
(Heinz Neugebauer) aus Deutschland fliehen, schrieb im Schweizer Exil die Novellensammlung ‚Der Mensch ist gut’. Für ihn war klar: „Die Machthaber, die den Krieg entfesselten, beenden ihn nicht.
Der Mensch, den sie im Kriegsgeist erziehen ließen, den sie zwingen, zu töten und zu sterben, muß ihn beenden.“ (Leonhard Frank, Links wo das Herz ist)
Franks Leben und Werk sind dramatisch, zwischen gesellschaftlicher Opposition und Exil pendelnd. Die ‚Dramaturgie’ seines Lebens hat er verstärkt durch seinen „Entwicklungsroman mit autobiographischer Basis“ (Hans Steidle), als welcher „Links wo das Herz ist“ eher zu betrachten ist denn als ausschließlich faktenbasierte Dokumentation. Frank war genauso „Opfer der deutschen Verhältnisse“ (Hans Steidle) wie er aktiv versuchte in sie einzugreifen, sie in seinen Werken analysierte und Gegenbilder entwarf. Am 4. September 1882 im deutschen Kaiserreich geboren, endete sein Leben am 18. August 1961, wenige Tage nach dem Mauerbau. Mit den beiden Weltkriegen als zentraler Zäsur ist seine Vita charakterisiert durch fünf Abschnitte: Seine Zeit im Deutschen Kaiserreich und sein Heranreifen zum Schriftsteller bis 1914, der Einschnitt durch den Ersten Weltkrieg und seine Emigration in die Schweiz 1915, seine schriftstellerisch erfolgreichste Phase zu Zeiten der Weimarer Republik, die neuerliche Emigration 1933 über die Schweiz und Frankreich in die rettenden USA und schließlich die Rückkehr in die Bundesrepublik des Kalten Krieges, in der er als ‚Nestbeschmutzer’, der die Vergangenheit nicht ruhen lassen wollte, nie wieder wirklich Fuß fassen konnte.
Hier soll das Werk Leonhard Franks exemplarisch in Bezug auf den Ersten Weltkrieg befragt werden. Welche Elemente arbeitete er in seinen Schriften vor dem Krieg heraus, die bereits hindeuten auf das kommende Ereignis, die hilfreich sind bei der Frage nach den Ursachen dessen, was nicht ‚Katastrophe’, sondern Menschenwerk war (Vorkrieg)? Wie analysierte er während der Zeit des Exils die Kriegssituation, welche Perspektiven zeigte er auf (Krieg)? Und schließlich: Wie verarbeitet er den Ersten Weltkrieg nach der Rückkehr aus dem Schweizer Exil (Nachkrieg)?
Aus dem Fazit
War Leonhard Frank ein unpolitischer Schriftsteller? Wohl kaum, auch wenn Marcel Reich-Ranicki lapidar bemerkt, er habe zwar „stets für die Armen und gegen die Reichen, für Gerechtigkeit und
gegen Ausbeutung, für den Frieden und gegen den Krieg“ geschrieben, doch habe „er nie Lust [gehabt], seine Anschauungen zu begründen.“ (Marcel Reich-Ranicki) Nein, Leonhard Frank war weder
Politiker noch Wissenschaftler, sondern Schriftsteller, der sich – aus einfachen Verhältnissen kommend – schreibend mit seiner eigenen Geschichte und seiner Gesellschaft auseinandergesetzt hat,
bestrebt, diese zum Besseren zu verändern. Sein Pazifismus war nicht weltabgewandt, gar naiv, sondern kämpferisch. In ‚Der Mensch ist gut’ ruft der Kellner: „Wir wollen fallen und sterben dafür,
dass der Liebe die Regierung Europas übergeben werde.“ (Leonhard Frank, Der Mensch ist gut) Neben Massendemonstrationen kommt ein anderes Mittel zur Sprache: der Generalstreik, mit der Forderung,
„wer heute […] seine Hand hebt zur Arbeit, um essen zu können, ist ein Mörder. Denn er lässt Menschen töten und fragt nicht, was soll ich tun, daß sie nicht ermordet werden.“ (Ebd.)
[…]
Leonhard Frank beschrieb sich selbst als „eine Art rebellischer Gefühlssozialist“ (Leonhard Frank, Links wo das Herz ist), lehnte Autoritäten und Gehorsam ab. So schrieb er im Juli 1918 an Katharina Kippenberg, die Frau seines Verlegers, er halte die Autorität „für das Furchtbarste auf Erden.“ In seinen Schriften zeigt er sich als unerschütterlicher Humanist, dessen Werke gerade dann an Schärfe, Dramatik gewinnen, wenn er aus dem eigenen Erleben schöpft, die soziale Wirklichkeit schildert. Auch heute ist es kaum möglich, seine Romane und Novellen zu lesen, ohne sie auf ihre Aktualität für das eigene Handeln, für die Gesellschaft, in der wir leben, zu befragen. Frank hat nicht Objektivität vorgegaukelt, sondern Position bezogen und drängt so auch heute noch die Leserin zu einer eigenen Positionierung, wenn er auf sein bisheriges Leben zurückblickend am Ende von ‚Links wo das Herz ist’ sagt:
„Sein Leben war das eines kämpfenden deutschen Romanschriftstellers in der geschichtlich stürmischen ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Seine Bücher sind Bildnisse seines Innern. Er hat
sich von Jugend an um Dinge gekümmert, die ihn nichts angingen, und ist der Meinung, daß Menschen, die das nicht tun, die Achtung vor sich selbst verlieren müssen; daß sie moralisch Selbstmord
begehen.“ (Ebd.)
Anlässlich einer Lesung im Literaturhaus Schleswig-Holstein im letzten Jahr habe ich einige weiterführende Links zu Leonhard zusammengestellt, insbesondere natürlich der Verweis auf die wertvolle
Arbeit der Leonhard-Frank-Gesellschaft in Würzburg und ihres Vorsitzenden Michael Henke. Hierauf sei noch einmal an dieser Stelle
verwiesen.